Die am 5.12. veröffentlichten PISA-Ergebnisse fordern zu einer gründlichen Analyse auf, um die verschiedenen Ursachenfelder identifizieren zu können. Der schulische Unterricht aller Fächer hatte in den letzten Jahren viele Herausforderungen zu bewältigen, etwa die Pandemie, die Umsetzung der Inklusion und die Integration von Kindern aus anderen sprachlichen und kulturellen Hintergründen. Diese Faktoren sind auch in den meisten anderen Ländern relevant, allerdings scheint Deutschland die damit verbundenen Probleme nicht sonderlich gut gelöst zu haben. Anerkannt werden muss auch, dass in Deutschland besonders der Mathematikunterricht schlechter als vor vier Jahren abschneidet: Der Rückgang ist in diesem Bereich mit 25 Punkten wesentlich stärker als beim Lesen (-14 Punkte) oder in den Naturwissenschaften. Auch die deutschsprachigen Länder Österreich und die Schweiz haben keinen solchen Rückgang der mathematischen Kompetenz zu verzeichnen, Österreich sogar einen Zugewinn.
Die grundlegende Ausrichtung des deutschen Mathematikunterrichts wird durch die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz bestimmt. Die dort geforderte Kompetenzorientierung entspricht den Erkenntnissen der Mathematikdidaktik und steht auch weitgehend im Einklang mit den Zielen, die gemäß der PISA-Konzeption getestet werden. Allerdings gibt es möglicherweise noch ein Defizit in der Umsetzung. Deutschland schwächelt bei den leistungsstarken Schüler*innen und zu denken geben sollte auch der erhebliche Anteil von Lernenden, die im Mathematikunterricht Langeweile empfinden. Diese Befunde bestärken den von vielen Seiten geäußerten Verdacht, dass es im Mathematikunterricht aktuell an kognitiv herausfordernden Fragestellungen ebenso mangelt wie an authentischen und als relevant erkennbaren Fragestellungen. Eine Konsequenz könnte sein, dass sich die Mathematikdidaktik verstärkt Inhalten zuwendet, die bei Kindern und Jugendlichen Begeisterung für mathematische Fragen auslösen können. Das habe ich schon an verschiedenen Stellen angemahnt und ein Zitat von Frau Lewalter aus Spiegel-Online vom 6.12. geht in die gleiche Richtung: “Wir beobachten, dass es im Unterricht häufig schlichte Berechnungen und einfache Anwendungsaufgaben gibt. Eine Art Rechentraining, relativ wenig kreative Auseinandersetzung mit Mathematik. Da gibt es nur wenige Anknüpfungspunkte zur Lebenswelt. Jugendliche stellen sich die Frage: Warum soll ich das lernen?“. Neben dem Auftrag, sich diesem Problem anzunehmen, werfen die Ergebnisse eine Reihe von weiteren mathematikdidaktischen Fragen auf, die einer wissenschaftlichen Untersuchung bedürfen.
Reinhard Oldenburg